Corona-Rundbrief Nr. 19
Liebe Kulturschaffende, liebe Kulturinteressierte,
in unserem heutigen Rundbrief gehen wir auf die aktuellen Entscheidungen aus dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft sowie aus dem NRW-Wirtschaftsministerium im Detail ein und stellen unsere strategischen Überlegungen in Bezug auf die kulturpolitische Lage dar:
Lebenshaltungskosten
Wir sind mit unserer Forderung nach einer temporären Förderung von Künstlerinnen und Künstlern nicht durchgedrungen. Es gibt höchstens 2.000 Euro für März/April. Auch das Sofortprogramm des Wirtschaftsministers bleibt auf 2.000 Euro für die Lebenshaltungskosten beschränkt. Ab 1. Mai gibt es nur den Rückgriff auf das Arbeitslosengeld. Eine spezielle Hilfe für freiberufliche Künstler aber auch für andere Solo-Selbständige bleibt damit auf der Stecke. Der Bund hat sich geweigert, hier einzutreten, und die Länder auf ihre verfassungsrechtliche Zuständigkeit für Kultur verwiesen. Diese müssen sie jetzt wahrnehmen. NRW hat dem trotz begrüßenswerter Initiativen im Einzelnen nicht Rechnung getragen.
Daran ändert auch nichts, dass das Land die Kultursoforthilfe von 5 Mio. auf 32 Mio. Euro aufstockt. Sie korrigiert damit eine frühere Entscheidung, bei der von Anfang an abzusehen war, dass 5 Mio. nicht ausreichen würden. Das ist zu begrüßen. Dieser Fonds war schnell erschöpft. 13.000 Antragsteller gingen leer aus.
Wir bemühen uns zur Zeit, eine ganze Reihe offener Fragen zu klären (siehe unten). Schon jetzt ist absehbar, dass die Umsetzung bürokratischen Aufwand erfordert. Unser Beratungsdienst, um dessen Verlängerung wir uns beim Kulturministerium bemühen, wird noch mehr zu tun bekommen (bisher etwa 400 Anfragen).
Wir werden auf das Land zugehen, um Änderungen im Detail zu erreichen, etwa im Bereich der Anrechnungen. Andere Länder sind dabei flexibler.
Unsere Strategie: Wir halten an der Forderung einer künstlerspezifischen Grundsicherung fest. Es ist zu kritisieren, dass das Arbeitsamt jetzt allein für eine Grundsicherung eintreten soll. Der AlG2-Bezug ist zu bürokratisch organisiert und nicht auf die Belange der Solo-Selbständigen zugeschnitten. Das Bestehen sogenannter Bedarfsgemeinschaften führt oft zu ablehnenden Bescheiden. So kann es nicht bleiben. Der Bundesarbeitsminister muss sich weiteren Erleichterungen öffnen. Die Unterstützung durch das Land wäre wünschenswert.
Initiativen des Landes zur Hilfe für das Kulturleben
Es gibt Förderprogramme für Teilbereiche des Kulturlebens. Aber wir vermissen ein umfassenderes Programm, das Perspektiven eröffnet. Großbritannien hat gerade ein solches Programm für mehrere Monate bekannt gegeben. Lebenshaltungskosten sind nicht das einzige Problem.
Zusätzliche Maßnahmen, die die Lage der Künstler erleichtern können
Wir werden eine Möglichkeit ins Spiel bringen, um den Künstlern auf anderem Wege zu helfen. Es ist die Projektförderung verbunden mit Stipendien. Hessen als Beispiel: Das Land wendet 50 Mio. Euro für ein solches Programm auf. Das ist angesichts der Tatsache, dass NRW drei Mal mehr an Bevölkerung hat, ein ansehnlicher Betrag. In NRW müssten es 150 Mio. Euro sein. Auch Hessen zahlt Arbeitsstipendien in Höhe von 2.000 Euro, übrigens nicht anzurechnen auf die Grundsicherung ALG II. Aber Hessen tut mehr: 500.000 Euro stehen zur Verfügung, um Festivals unter die Arme zu greifen – unabhängig von bestehender Förderung. Das Land fördert bauliche Veränderungen, es gründet einen Fonds „innovativ neu eröffnen“ für Kultureinrichtungen und Spielstätten – 500 Fondspakete zu 18.000 Euro –, Projektstipendien für freie Gruppen und Einzelkünstler. Es stehen Mittel für 250 Gruppen in Höhe von je 18.000 Euro und für 1.000 Künstler in Höhe von 5.000 bereit.
Auf diesen Weg sollte sich NRW jetzt machen. Lebenshaltungskosten werden an künstlerische Aktivitäten geknüpft – eine gute Verbindung.
Das Land verfügt über einen Rettungsschirm von ca. 35 Milliarden Euro. Was ist davon für die Kultur bestimmt?
Die Landesregierung hat begonnen durch Informationsveranstaltungen auf die Kulturschaffenden im Lande zuzugehen. Das begrüßen wir. Dieser Prozess sollte fortgesetzt werden. Alle Beteiligten müssen miteinander im Gespräch bleiben, um mit der schwierigen und völlig ungewohnten Situation fertig zu werden.
Es fehlt nach wie vor ein Unterstützungsprogramm für notwendige bauliche Veränderungen bei Öffnungen. Es fehlt das Förderprogramm für Vereine – auch hier hat Hessen schon gehandelt.
Soforthilfe des NRW-Wirtschaftsministeriums, Sofortprogramm des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft – Aktuelle Entwicklungen
Die Landesregierung hat gestern geklärt, wie sie die entstandenen Probleme der Künstlerinnen und Künstler in Bezug auf ihre Lebenshaltungskosten in den Corona-Monaten März und April regeln möchte. Im Prinzip können Künstlerinnen und Künstler für diesen Zeitraum 2.000 Euro öffentliches Geld erhalten haben, sei es vom Wirtschaftsministerium, sei es vom Kulturministerium, sei es (mit Abstrichen) vom Jobcenter.
Wir hatten vom Wirtschaftsminister eine Klarstellung verlangt, wie viel Künstlerinnen und Künstler von der NRW Soforthilfe 2020 für Lebenshaltungskosten verwenden dürfen. Diese Klarstellung ist nun erfolgt. 2.000 Euro können von den 9.000 Euro für Lebenshaltungskosten verwendet werden, sofern man diese vor dem 1. Mai bezogen hat. Den Betrag hatten wir deutlich höher erhofft, aber die Rechtssicherheit ist nun verbessert.
Wir hatten von der Kulturministerin gefordert, die zu früh erschöpfte Kultursoforthilfe nachzubessern. Dies ist erfolgt, statt 5 Millionen werden nun 32 Millionen Euro aufgewendet. Doch es bleiben Fragen zur Durchführung offen.
- - Was passiert mit den Anträgen an die Kultursoforthilfe, für die keine Mittel mehr da waren und die deshalb einen ablehnenden Bescheid erhielten? Werden die Bescheide aufgehoben und der Antrag neu bearbeitet?
- - Ist die Pressemitteilung so zu verstehen, dass die Antragsteller der Kultursoforthilfe, die positiv beschieden wurden, aber weniger als 2.000 Euro erhielten, eine Nachzahlung des Differenzbetrages erhalten? Wie wird dieses Verfahren gestaltet?
Es gibt bereits erste Antworten dazu:
- - Die ca. 13.000 Antragssteller, die bislang eine Ablehnung erhalten haben, müssen einen NEUEN ANTRAG stellen.
- - Dafür wird ein Online-Formular des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft freigeschaltet (analog zu dem des Wirtschaftsministeriums), d.h. vorher gibt es keine Möglichkeit, seinen Antrag zu verschicken (die bisherigen E-Mail-Adressen der Bezirksregierungen sind gelöscht worden. E-Mails werden nicht berücksichtigt. Antragssteller sollen sich ab Mitte nächster Woche auf der Website des Ministeriums informieren)
- - Auch diejenigen, die weniger als 2000 Euro bewilligt bekommen haben, müssen einen neuen Antrag stellen, um den Differenzbetrag zu beantragen
- - Wer bis 9. April keinen Antrag gestellt hatte, kann leider nicht mehr berücksichtigt werden.
- - Belegprüfungen fallen aus
- - Es gibt also weder Aufhebungen der Ablehnungsbescheide noch automatische Zahlungen von Differenzbeträgen
- - Es ist eine Informationswebsite geplant
Näheres dazu auch auf unserer Website.
Wir hatten immer wieder deutlich gemacht, dass die Grundsicherung der Jobcenter allein den Künstlerinnen und Künstlern die Weiterarbeit kaum ermöglicht. Der ALG2-Bezug ist zu bürokratisch organisiert, systemisch falsch und nicht dem Kulturauftrag des Landes entsprechend. Gleichwohl hat die Landesregierung gestern die Künstlerinnen und Künstler, die in der Corona-Krise in Not geraten sind, für die Zeit ab Mai 2020 auf die Grundsicherung verwiesen. Wir kritisieren das scharf.
Kommunalfinanzen
Im Hintergrund lodert der Brand der Kommunalfinanzen. Eine kommunale Finanzkrise wird zwangsläufig gerade in NRW auch zu einer Krise des Kulturlebens werden. Wir stehen im Schulterschluss mit den beiden Kultursekretariaten und den kommunalen Spitzenverbänden in NRW und fordern die Bundesregierung auf, mit einem Kulturinfrastrukturprogramm auch Kommunen zu helfen, sowie von der Landesregierung, initiativ auf die Nöte der Kommunen zu reagieren.
Stipendienprogramme für Künstler*innen
Wir weisen noch einmal darauf hin, dass die Bundeskulturstiftung das Programm „Reload Stipendien für Freie Gruppen“ mit 130 Stipendien (Volumen: 3,25 Mio. Euro) aufgelegt hat. Das wird schnell erschöpft sein.
Die Kunststiftung NRW legt einen Sonderfonds zum Thema „Begrenzt-Entgrenzt. Zeit für eine Zeitenwende?“ für Künstler*innen in NRW in Höhe von 600.000.- Euro auf. 150 Kurzkonzepte zu einer künstlerischen Idee aus allen Sparten, die sich thematisch mit der Zeit nach Corona auseinandersetzen, werden von der Kunststiftung NRW und einem Fachbeirat ausgewählt und mit je 4000.- Euro ausgezeichnet. Die Einreichung des Kurzkonzepts erfolgt ausschließlich in digitaler Form bis zum 05.06.2020. Die Kunststiftung NRW möchte damit konstruktiv in die Zukunft blicken und zu Anstößen aus der Sicht der Kulturschaffenden als Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft in der Post-Corona-Zeit anregen. Näheres dazu finden Sie jetzt unter www.kunststiftungnrw.de.
Auch nach dieser enttäuschenden Entwicklung, werden wir das konstruktive Gespräch mit den politisch Verantwortlichen fortführen. Gerade jetzt! Im Bund scheint sich auch nach den Worten der Bundeskanzlerin heute im Bundestag in Sachen Kulturfonds etwas zu bewegen. Der ständige Appell trägt Früchte.
Beste Grüße Gerhart Baum Vorsitzender des Kulturrats NRW
13.05.2020
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