Der Rat für Kulturelle Bildung hat im Oktober 2015 seine neue Denkschrift „Zur Sache“ vorgestellt. Hatte er in einer ersten Schrift noch die Qualität des Diskurses zur kulturellen Bildung kritisch beleuchtet, behandelt er nun den Stellenwert der Gegenstände und Inhalte der Kulturellen Bildung. Die Autoren kritisieren, dass das „wie“ der kulturellen Bildung weitaus mehr öffentliche Aufmerksamkeit beanspruche als das „was“. Das „was“ meint die Inhalte, anhand derer kulturelle Bildung vermittelt wird. Der Kulturrat NRW steht seit Mai diesen Jahres in einer Kooperation mit dem Rat für Kulturelle Bildung, und er griff die Publikation gerne als Anlass auf zu fragen, ob die Förderung der kulturellen Bildung nicht mehr und mehr zum Selbstzweck wird und in einen Gegensatz zur Förderung der Künste rückt.
Aus diesem Anlass trafen sich im Kölner Gebäude der Thyssen-Stiftung auf dem Podium einer Veranstaltung von Kulturrat NRW, Rat für Kulturelle Bildung und WDR3 am 16.11.2015 die Diskutanten Prof. Dr. Holger Noltze, Prof. Diemut Schilling, Prof. Dr. Andreas Lehmann, Linda Müller und Reinhard Knoll zu einem Gespräch, das Anke Bruns moderierte. Wozu soll die kulturelle Bildung eigentlich gut sein, eröffnete Bruns provokativ. Laut Diemut Schilling gibt sie dem Menschen eine Toolbox an die Hand, die es ermöglicht, anders mit der Wirklichkeit zu arbeiten. Letztlich weiß keiner genau, was kulturelle Bildung in uns verändert, ergänzte Andreas Lehmann von der Musikhochschule Würzburg, die Wissenschaft sei sich da herzlich uneins. Doch dass man offener werde und den Horizont erweitere, steht nach Tanzpädagogin Linda Müller fest. „Was“ statt „Wie“
Warum nun das „was“ wieder in Vordergrund schieben? Diemut Schilling nennt als Beispiel das naturalistische Zeichnen. In der künstlerischen Ausbildung spielt es keine Rolle, es werde auch bei Aufnahmeprüfungen an Kunsthochschulen nicht verlangt. Dabei ist es das, was Kinder am ehesten lernen wollen, während es die Lehrer mangels Ausbildung kaum noch beibringen können. Holger Noltze ergänzt, dass man im Allgemeinen eher das vermittelt, was ganz gut geht, in der Musik etwa die Programmmusik. Smetanas Moldau käme immer ganz gut an. Doch werde die Musikvermittlung damit auf die Moldau reduziert, dann funktioniere sie nicht mehr. Man müsse schon genauer fragen, was der Gegenstand für ein Potenzial birgt. Reinhard Knoll findet die Frage, was der Gegenstand der kulturellen Bildung für eine Aussage hat, viel zu selten gestellt. Oft mache man den Gegenstand kleiner als er sei, spitzt Noltze zu, damit er durch das Nadelöhr der Vermittlung passe.
Das Panel kann dieser Stoßrichtung der Publikation „Zur Sache“ durchaus beipflichten, nur Andreas Lehmann moniert, dass das „was“ letztlich in der Studie nicht benannt werde. Deshalb habe ihn die Lektüre enttäuscht. Holger Noltze hält das für einen überzogenen Anspruch. Bei der Frage, was Gegenstand der kulturellen Bildung wird, müssten viele verschiedene Stimmen mittun. Kultursparte für Kultursparte sollten Akteure ihre Werte zusammentragen, postulieren Schilling und Müller.
Schulformen und Chancengleichheit
Sorge macht der große Einfluss der Schulform auf die Affinität zur Kultur. Allensbach legte eine Studie darüber vor, mit welchen Gegenständen Schüler im Laufe eines Schullebens in Berührung kommen. Das Ergebnis zeigt eine eklatante Ungleichverteilung der Möglichkeiten zur kulturellen Bildung zwischen den Schulformen, auch zwischen den Geschlechtern. Andreas Lehmann erkennt durchaus an, dass man gerne etwas anderes macht als Kultur. Diemut Schilling stellt eher den Kulturbegriff in Frage. Tanzen im Club, Musikhören und sogar Sprayen seien auch Kultur, und dann sehe die Teilhabe an Kultur schon anders aus.
Was kann Schule tun? Reinhard Knoll weist darauf hin, dass es Lehrpläne gibt, über welche staatliche Organe eine Gewährleistungspflicht ausüben müssten. Aufgabe des Kulturrats muss es sein, sachlich die Missstände zu bilanzieren und Vorschläge zu machen, wie eine Grundversorgung erreicht wird. Für Noltze ist es unverständlich, dass die Kulturministerkonferenz den massiven Unterrichtsausfall gerade bei den Kulturfächern benennt, aber nichts dagegen passiert. Lehrerbildung kostet Geld, kommentiert Lehmann, und gerade die Künste sorgen für teure Lehrerausbildungen. Es könnten mehr Lehrer für den Arbeitsmarkt ausgebildet werden, wenn die Kapazitäten finanziert wären. Diemut Schilling möchte vorher das System korrigieren, denn die Ausbildung von Kunstpädagogen benötigt Kunstprofessuren, in die man nur über eine Wissenschaftslaufbahn gelangt, dabei aber peripher wenig Zeit in Schule zubringt. Künftige Professoren müssten Schul-Erfahrungen sammeln, um adäquat ausbilden zu können.
Kunstförderung und -vermittlung
Warum nun sehen die Künstler die Gefahr, dass der öffentliche Einsatz für die kulturelle Bildung die Kunstförderung erdrückt? Noltze nennt den Fall eines Orchesters, das eine Stelle zugunsten von Vermittlungsprojekten einsparen soll. Einig sind sich alle Diskutanten, dass man sich nicht gegeneinander ausspielen lassen darf. Reinhard Knoll fordert, dass Kunst die Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft immer im Auge haben müsse. Die enge Verbindung zwischen Kunst und Gesellschaft sei aber nicht gleichbedeutend mit der Ausweitung von kultureller Bildung. An den Hochschulen sollte kulturelle Bildung zum Exzellenz-Cluster werden. Andreas Lehmann erkennt eine Hackordnung an den Musikhochschulen, in der die Pädagogik ganz unten rangiere. Das müssen die Hochschulen zweifellos überwinden. Der Diskurs geht weiter, das hatte eingangs schon Gerhart Baum, Vorsitzender des Kulturrats NRW, angekündigt. Und der Rat für Kulturelle Bildung sinnt auf neue Taten: Die nächste Denkschrift wird sich um die politische Ökonomie der Kulturellen Bildung drehen. rvz