Die Energiekrise darf nicht zur Krise der Kultur werden – NRW-Landtag am 01.12.22

Auf Antrag der Fraktion der SPD findet am Donnerstag, den 1.12.2022 eine Anhörung von Sachverständigen im Landtag statt. Der Kulturrat NRW hat dazu folgende Stellungnahme abgegeben:

“A12 – Energiekrise, Kultur – 01.12.2022“

Stellungnahme des Kulturrats NRW

Die gestiegenen Energiekosten, die Inflation, die während der Pandemiezeit aufgebrauchten Rücklagen und die wegen mangelnder Aufträge gesunkenen Tantiemen stellen für soloselbständige Kulturschaffende in der Summe eine größer werdende Herausforderung dar. Ebenso betroffen sind Kultureinrichtungen, die zusätzlich unter dem Fernbleiben des Publikums leiden.
Wir stellen diese Beobachtung an den Anfang unserer Stellungnahme, da wir darauf hinweisen möchten, dass die durch die Energiekrise hervorgerufenen Schwierigkeiten aufgrund der Komplexität der Gesamtsituation das berühmte Fass zum Überlaufen bringen.

Wir sehen die dringende Notwendigkeit, die Künstlerschaft wie Kultureinrichtungen in dieser zugespitzten Lage zu unterstützen. Die Landesregierung NRW ist aufgerufen, passende Hilfsmaßnahmen noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen und mit ihren Entscheidungen (v.a. in Bezug auf soloselbständige Kulturschaffende) nicht auf die Entwicklungen im Bund zu warten.

Kultur erfüllt gerade in diesen Zeiten eine wichtige Aufgabe für den Zusammenhalt der Gesellschaft, für die Stabilität der Demokratie und für die Orientierung der Menschen in Phasen großer Unsicherheit. In diesem Sinne regen wir dazu an, die sich derzeit überlagernden Krisen ganzheitlich in den Blick zu nehmen.

Unsere folgenden Empfehlungen konzentrieren wir unter Berücksichtigung des Anhörungs-Themas dennoch auf die Energie:

Die Folgen der Energiekrise sind im Kulturbereich schon jetzt spürbar und werden sich in den folgenden Jahren weiter ausprägen: Steigende Energiekosten sollten nicht zur Reduzierung von Spielplänen, zum Ausfall von Honoraren und dem Wegfall anderer Verdienstmöglichkeiten führen. Einrichtungen und selbstständige Kulturschaffende werden gleichermaßen unter den daraus resultierenden Einbußen leiden. Auch zeichnet sich ab, dass Proben- und Atelierräume sowie Orte der Kulturellen Bildung nicht wie gewohnt weiterbetrieben werden können, viele Künstler:innen allein aus diesem Grund in ihrer Berufsausübung behindert werden.
In Analogie zur Corona-Krise ist auch in diesem Zusammenhang eine weitere Verschlechterung der sozialen Absicherung der Künstler:innen wie den Freischaffenden oder Teilzeit-Beschäftigten in den Kulturbetrieben zu erwarten.

Der Bund hat die grundsätzliche Problematik erkannt. Staatsministerin Roth betonte in ihrer gemeinsamen Erklärung mit den Kulturminister:innen der Länder: „Gerade in Zeiten krisenhafter Erschütterungen leisten Kultureinrichtungen sowie Kulturakteurinnen und -akteure einen unverzichtbaren Beitrag zu gesellschaftlicher Selbstverständigung.“ Bundesfinanzminister Lindner stellte Anfang November den Betrag von einer Milliarde Euro über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds für Kultureinrichtungen zur Verfügung. Wir werten die Zuteilung des Sondervolumens als Zeichen dafür, dass dem besonderen Stellenwert der Kultur Rechnung getragen wurde. Auch NRW-Ministerin Brandes sicherte bereits Mittel zur investiven Ertüchtigung der Infrastruktur der freien Spielstätten zu (Vorlage 18/468). Der Kulturrat NRW begrüßt diese Beschlüsse ausdrücklich.
Offen ist dabei allerdings noch (Stand 17.11.22), wie Ausgestaltung und Verteilung der Hilfen im Detail erfolgen werden. Wir erwarten vom Bund eine Festlegung der Kriterien noch im laufenden Jahr.

Künstler:innenhilfen:

Fest steht bereits, dass Einzelkünstler:innen im Bundesprogramm nicht berücksichtigt werden, hier also ein klares Defizit besteht. Soloselbständige Künstler:innen sind ausdrücklich keine unmittelbaren Nutznießer des Bundes-Programms. Wie die Länder diese deutliche Lücke schließen können, ist eine nun dringende Frage. Um diesem Missstand zu begegnen, bieten sich aus Sicht des Kulturrats NRW zwei Wege zur Entlastung der Künstler:innen und Kulturschaffenden an:

1.
Als erstes regt der Kulturrat NRW an, gestiegene Energiekosten von soloselbständigen Künstler:innen aufzufangen, die im direkten Zusammenhang mit künstlerischer Arbeit anfallen. Wir weisen mit Dringlichkeit darauf hin, dass für viele die Strom- und Gasrechnungen einen Stopp der künstlerischen Arbeit bedeuten werden. Das schließt sie nicht nur von Honoraren, sondern auch von Erlösen durch Verkauf, Streaming, Lizensierung und mehr aus.

Auf Grundlage einer Umfrage unter Kulturschaffenden aller Sparten in NRW konnten der Kulturrat NRW und der Landesmusikrat im Herbst konkrete Zahlen ermitteln.

Solche zu fördernden Kosten fallen an bei Künstler:innen und Kreativen,

  • die für sich oder für ihre Ensembles oder Bands Proberäume mieten (förderfähig: Energierechnungen für den jeweiligen Raum im Vergleich zu 2019)
  • die in ihrer Wohnung ein Arbeitszimmer unterhalten, das vom Finanzamt anerkannt ist (förderfähig: Anteilige Energierechnungen für die Wohnung gemäß dem Prozentsatz der Anerkennung durch das Finanzamt und hierbei die Differenz zu 2019)
  • die Ateliers unterhalten (förderfähig: Energierechnungen für den jeweiligen Raum im Vergleich zu 2019)
  • die für die Entstehung ihrer Werke oder Produktionen aufgrund der starken Digitalisierung z.B. Energie (Strom) benötigen und die einen Anteil ihrer Energierechnung dafür glaubhaft machen können (förderfähig: Energierechnung mit plausibler Herleitung des Anteils für die Werkentstehung und dies im Vergleich zu 2019)
  • die Auftritte oder Präsentationen verlieren, weil die Veranstaltungsstätten wegen der Energiekosten für eine Zeit schließen, und sie daher ihre Honorare verlieren (förderfähig: Ausfallhonorare bei Vorlage des Absagegrunds und der Honorarvereinbarung)

Der Vorstand des Kulturrats NRW hat in Zusammenarbeit mit Rainer Bode bei Künstler:innen abgefragt, welcher Fall bei Ihnen eintritt und wie hoch die Energiekosten sind. Gut 60 Künstler:innen aller Sparten haben konkrete Angaben gemacht. Die Beträge gelten den bislang jährlich entstandenen Energiekosten. Die Mehrkosten sind noch nicht absehbar.

  • 9 von ihnen mieten Proberäume. Die jährlichen Energiekosten betragen im Schnitt 300 bis 1.200 Euro.
  • 29 Künstler:innen unterhalten steuerlich anerkannte Arbeitszimmer mit jährlichen Energiekosten von durchschnittlich 300 bis 1.200 Euro.
  • 16 Künstler:innen unterhalten Ateliers mit jährlichen Energiekosten von durchschnittlich 800 bis 1.500 Euro.
  • 4 Komponist:innen meldeten Energiekosten für ihre Produktionen in Höhe von durchschnittlich 100 bis 400 Euro.
  • 7 Künstler:innen verzeichnen bereits Auftrittsabsagen mit Honorareinbußen, in einem der Fälle sind es 5.000 Euro.

 

2.
Als zweite Möglichkeit, niedrigschwellige Hilfen auf den Weg zu bringen, schlägt der Kulturrat NRW vor, das während der Corona-Krise erprobte Instrument der Stipendien für freie Künstler:innen anzupassen und neu aufzulegen.

Die Hilfsmaßnahmen sollten prioritär und zeitnah erfolgen.

Besondere Situation der Freien Szene:

Aus Sicht des Kulturrats NRW gilt es, neben den kommunalen unbedingt auch die Energiekosten der Kulturstätten der Freien Szene im Blick zu haben, die eine tragende Säule der Kulturwelt sind. Denn inwiefern auch diese aus dem Fonds unterstützt werden, ist noch nicht bekannt. Die Einzelheiten der Ausgestaltung werden noch erarbeitet. Aus diesem Grund stellt es sich zum jetzigen Zeitpunkt schwierig dar, auf die Fragen zu den konkreten, zu erwartenden Lücken zu reagieren und diesbezügliche Vorschläge für die Höhe der Entlastungen zu formulieren. Daher bleibt an dieser Stelle lediglich die allgemeine Forderung nach der Berücksichtigung aller Kulturorte, auch in Abstimmung mit den Kommunen. Bei der Ausgestaltung der Fördermittel sollte außerdem bedacht werden, dass bereits viele Einrichtungen in den vergangenen Jahren energetische Maßnahmen ergriffen haben und die geforderten 20 Prozent Einsparungen nicht in diesem Umfang erbringen können. Dies muss ggf. in die Berechnungen miteinfließen. Siehe Bericht[1] des Bundesverbands Soziokultur „Nachhaltige Entwicklung der Soziokultur 2022“/oder Befragung des Bundesverband Soziokultur (S. 36)[2] .

Auch das Fernbleiben des Publikums hängt u.a. mit Inflation und Energiekrise zusammen, da viele Menschen sparen müssen. Flankierend könnte in diesem Zusammenhang und in Analogie zum „Bundes-Kulturpass“ für 18-Jährige in Erwägung gezogen werden, mit Hilfe des Landes Programme zu entwickeln, die möglichst nachhaltig Zuschauer:innen und Besucher:innen in die Kultur (zurück)holen. Ein weiteres Beispiel wäre die Unterstützung von zeitlich begrenzten „9-Euro-Tickets“ für Programmkinos, Soziokulturelle Zentren, Konzerthäuser, Theater oder Museen.
Dringend weisen wir darauf hin, dass auch hier die soziale Spreizung größer wird, wenn finanziell Schwächere sich Kultur nicht mehr leisten können.

Appell an das Land NRW:

Der Kulturrat NRW appelliert an das Land NRW, noch in diesem Jahr gezielte Hilfsmaßnahmen in Ergänzung der Bundeshilfen auf den Weg zu bringen und deren unbürokratische Umsetzung zu ermöglichen. Dies würde einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Vielfalt der Kulturlandschaft leisten.
Dazu sehen wir es als erforderlich an, dass das Land eine Strategie entwickelt, aus der hervorgeht, wie die Unterstützungssysteme konzipiert und wie die Hilfsgelder verteilt werden. Diese Strategie muss neben den unmittelbaren Energiefolgen dem Besucherschwund begegnen sowie nachhaltig das Feld der technischen Ausstattung von Kultureinrichtungen im Blick haben.
Perspektivisch betrachten wir es als gleichbleibend dringend, über die Einführung von Basishonoraren hinaus, ein Modell für eine Sozialversicherung für Künstler:innen zu etablieren, um auch zukünftige Krisensituationen abfedern zu können.

 

Kulturrat NRW, 17.11.2022
Catalina Rojas Hauser, Heike Herold


[1] https://www.soziokultur.de/wp-content/uploads/2022/06/2022_BVS_Das-brauchts_.pdf

[2] https://www.soziokultur.de/wp-content/uploads/2022/10/Sk-3-22_interaktiv_web.pdf

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