Kulturausschuss des Landtags tagte am 01.10.2020 zur Situation der Solo-Selbständigen

Hinter Labyrinthen von Plexigläsern tagte der Ausschuss für Kultur und Medien am 1. Oktober 2020 mit dem Geschäftsführenden Vorstand des Kulturrats NRW und weiteren Gästen zur Situation der Solo-Selbständigen in Kunst und Kultur. Grundlage war der Antrag „Das Land muss die Existenz von Künstlerinnen und Künstlern und freien Journalistinnen und Journalisten nachhaltig sicherstellen!“ der Fraktion der SPD. Neben Gerhart Baum, Reinhard Knoll und Heike Herold vom Kulturrat NRW sprachen mit dem Kulturausschuss Janina Benduski, Bundesverband freie darstellende Künste, Uwe Fritz, Leiter der Künstlersozialkasse, und Volkmar Kah, Geschäftsführer des Deutschen Journalistenverbandes NRW.

Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen zog im Bericht der Landesregierung eine positive Bilanz der Corona-bedingten Maßnahmen des Kulturministeriums seit einem Fördererlass, der bereits im März Spielräume des Wohlwollens gegenüber ausfallenden, geförderten Kulturveranstaltungen ermöglichte, sowie der ersten Kultur-Soforthilfe aus demselben Monat. Sie gab außerdem bekannt, dass die Antragsfrist des aktuellen Stipendienprogramm “Auf geht’s!”, das 15.000 Stipendien zu 7.000 Euro an Künstlerinnen und Künstler auslobt, bis zum 16. Oktober 2020 verlängert ist.

Gerhart Baum, Vorsitzender des Kulturrats NRW, lobte das Stipendienprogramm und mahnte, rechtzeitig zu überlegen, wie es nach dessen Ablauf weiterginge. Im kommenden Jahr werde die Pandemie anhalten, es brauche eine fortgesetzte individuelle Künstlerförderung. Grundsätzlich möchte Baum geklärt wissen, wie solche Situationen mit dem Sozialsystem aufgefangen werden.

Er kritisierte die Bundesregierung, deren Überbrückungshilfe sehr umständlich arbeite und deren Mittel kaum in Anspruch genommen würden. Auch empfindet er das Neustart-Kultur-Programm der Staatsministerin für Kultur und Medien zwar als großzügig ausgestattet, doch unübersichtlich in der Abstimmung seiner Programmteile.

Reinhard Knoll, stellvertretender Vorsitzender des Kulturrats NRW und Präsident des Landesmusikrats NRW, wies auf die gewachsene Bedeutung des Digitalbereichs für das Überleben der Künstlerinnen und Künstler hin, nachdem diese durch analoge Veranstaltungen kaum noch Geld verdienen könnten. Die Präsentationen im Netz haben aber aus seiner Sicht noch keine brauchbaren Bezahlsysteme. Die Entwicklung solcher Systeme müsse vorangetrieben, sie müssten technisch verbessert und die Kulturschaffenden müssten zu ihrem Gebrauch gecoacht werden.

Besonderes Augenmerk müsse den Solo-Selbständigen gelten. Das Arbeitslosengeld 2 sei in seiner derzeitigen Form nicht geeignet für Solo-Selbständige in Kunst und Kultur. Und in den Hilfsprogrammen müssten Humankapital und Betriebskapital neu austariert werden.

Heike Herold, stellvertretende Vorsitzende des Kulturrats NRW und Geschäftsführerin der LAG Soziokultur NRW, beschrieb die Situation in den Kultureinrichtungen als eine Mischung von Frustration und Zuversicht. Die kreativ entwickelten Präsentationssysteme des Sommers würden für den Winter nicht taugen. Und die Ticketverkäufe seien erheblich eingebrochen. Vertrauensbildende Maßnahmen seien notwendig, der Kulturstärkungsfonds könne eine sein. Die Soziokultur NRW ist für die Vorprüfung der Anträge von soziokulturellen Zentren an das Hilfsprogramm des Kulturministeriums zuständig. Bislang lägen lediglich 24 Anträge vor, weil sich die kleinen Zentren zurückhielten. Sie könnten unter Gesundheitsauflagen kaum tätig werden und die angebotene finanzielle Unterstützung für den Aufführungsbetrieb entsprechend nicht einsetzen. Die Landesregierung müsse nun rechtzeitig in die Zukunft planen.

Herold kritisierte auch die jüngsten Beschlüsse der Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin: Die Gastronomien in den soziokulturellen Zentren könnten die Aufgabe der Kontrolle der Nutzerangaben zur Nachverfolgung von Infektionen nicht erledigen.
Sie lobte das Kurzarbeitergeld des Bundes als sehr hilfreich für die Soziokultur.

Die Vorsitzende des Bundesverbands Darstellende Künste Janina Benduski war per Video aus Wolfenbüttel zugeschaltet. Dort tagten die Vertreter der Darstellenden Künste, die von der Corona-Krise mit unterschiedlicher Härte betroffen sind. Ein kleiner Teil der darstellenden Szene arbeite sozial abgesichert in kleinen Formaten und Stätten und komme bislang gut durch die Corona-Krise. Doch diese Strukturen produzieren kaum Aufträge nach außen, so Benduski. Der Streueffekt sei gering. Der größere Teil der Szene hat große Probleme, in der Krise zu arbeiten, und diese Probleme würden viele andere nach sich ziehen. Benduski erinnert daran, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung schon mit Erlassen im März und am 1. April Ausfallhonorare als förderfähig ermöglichten. Das sei ein wichtiger Impuls gewesen, der von Bund und Kommunen nur sehr zögernd und teils gar nicht aufgenommen wurde. Solidarische Institutionen hielten ihre Verträge ein, doch es habe etliche öffentlich finanzierte Häuser gegeben, die Ausfallhonorare verweigerten.

Geholfen hätten die großen Stipendienprogramme den künstlerisch tätigen Menschen. Die vielen mit ihnen verbundenen nicht-künstlerischen solo-selbständigen Dienstleister hätten davon jedoch nicht profitieren können. Hart kritisierte Benduski, dass die Wirtschaftssoforthilfen nicht funktionierten. Ebenso habe sich der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung als untaugliches Instrument erwiesen.

Für die nahe Zukunft erhoffte sich Benduski vor allem

  • verlässliche und einheitliche Bedingungen für Öffnungsszenarien;
  • zudem solle die Landesregierung gute Co-Finanzierungsprogramme entwickeln, die die Inanspruchnahme des BKM-Programms „Neustart Kultur“ ermöglichten;
  • auch solle sie die Weiterbildungs- und Beratungskapazitäten erhöhen.
  • Das Ganze müsse längerfristig gedacht werden und in einem permanenten Dialog mit den Künstlerinnen und Künstlern verfeinert werden.

Uwe Fritz, KSK, sagte, fast alle Mitglieder seien Solo-Selbständige. Die Zahl der Neuanträge habe nicht zugenommen. Aber der Versicherungszuwachs sei deutlich. Die Beschäftigung sei wohl zurückgegangen. Das Zahlungsverhalten gestalte sich vorbildlich. 15 % weniger Mahnungen zu 2019. Das spreche für gestiegene Wertschätzung. Ein einfaches Verfahren zur Mitteilung über die Änderung von Einkünften wurde entwickelt. Die abgabepflichtigen Unternehmen könnten ihre Abgaben, die auf dem Vorjahr fußen, reduzieren, tun dies aber kaum. Mindesteinkommen von 3.900 Euro jährlich als Voraussetzung für Mitgliedschaft soll von der Bundesregierung für 2020 ausgesetzt werden. Wenn die Umsätze der abgebenden Unternehmen stark fallen sollte, werde die KSK den Abgabesatz erhöhen.

Volkmar Kah, Deutscher Journalistenverband, bescheinigt NRW eine Vorreiterrolle in Sachen Corona-Hilfe, kritisierte aber, dass bei der Kultur-Soforthilfe vom März die 10.000 freiberuflichen Journalisten durchs Raster gefallen seien. Dabei hatten die freien Journalisten in diesen Monaten einen Einkommensrückgang von 51 %. 40% der Journalisten haben derzeit akute Existenzsorgen. Die Freude an der Soforthilfe des NRW-Wirtschaftsministeriums (mit Bundesmitteln) war kurz, 46 % der freischaffenden Journalisten hatten Anträge gestellt, 1 % sagen derzeit, dass ihnen die Maßnahme wirklich geholfen habe. „Was wir brauchen, ist ein langfristig angelegtes Maßnahmenpaket von Anreizen, die zu Berichterstattung führen,“ so Kah. Er forderte auch die Diskussionen der Themen ‘Entnahme eines Unternehmerlohns‘ und ‘Umgang mit Rückzahlungserfordernissen‘ ein.

Der Kulturpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Andreas Bialas fragte Uwe Fritz, inwieweit die Künstlersozialkasse zu einer besseren sozialen Absicherung verhelfen könne, wo doch die Gäste die staatlichen Hilfen für Solo-Selbständige im Kulturbereich so einhellig kritisieren, zumal den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung. Uwe Fritz konnte hierzu nichts in Aussicht stellen. Der Ansatz war ihm neu. Die Künstlersozialkasse sei von der Struktur her keine Arbeitslosenversicherung.
Lorenz Deutsch, Kulturpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, interessierte sich für das Ineinandergreifen der Hilfsprogramme und bat den Kulturrat NRW um Beurteilung. Gerhart Baum bot gemeinsame Überlegungen mit dem Kulturministerium zu neuen Hilfsprogrammen an. Das Ineinandergreifen sah er vor allem durch das Vorgehen der Bundesregierung in Frage gestellt. Sie verstehe die Probleme der Solo-Selbständigen nicht. Hier bestehe großer politischer Überzeugungsbedarf. Heike Herold wies auf die Notwendigkeit hin, Co-Finanzierungen für das BKM-Neustart-Kultur-Programm bereitzustellen.
Auch die Kulturpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion Walger-Demolsky problematisierte die Situation der Solo-Selbständigen über den Kulturbereich hinaus.
Der Kulturpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Bernd Petelkau fragte den Kulturrat NRW, wie man höhere Nutzungen der Saalkapazitäten erreichen könne und wie man neue Bezahlsysteme unterstützen könne. Gerhart Baum und Reinhard Knoll sprachen sich für eine Kampagne aus, die der Öffentlichkeit den Wert des Besuchs von Kultureinrichtungen wieder verdeutliche. Es müsse vorsichtiger Mut geweckt werden. Dazu brauche es möglichst verlässliche Rahmenbedingungen des Gesundheitsministeriums.

Nachfragen zum Bericht der Landesregierung kamen von Andreas Bialas: Kann das Kulturministerium dem Problem begegnen, dass freiberufliche Lehrkräfte an Musikschulen bei Corona-bedingten Ausfällen von den kommunalen Trägern mitunter keine Ausfallhonorare erhalten? Staatssekretär Klaus Kaiser sicherte hierzu Gespräche zu. Das Problem sei ihm auch schon aus dem Bereich der Volkshochschulen bekannt. Und hat das Kulturministerium bei dem entstehenden Hilfsprogramm für Kultureinrichtungen auch privatwirtschaftliche Spielstätten und Clubs im Visier? Das Landesprogramm will zwar nur das Neustart-Kultur-Programm ergänzen, in dem die Clubs und Spielstätten vorkommen, doch werden dort nur die aufführungsbezogenen Kosten, nicht die Grundkosten, gefördert. Staatssekretär Kaiser wies auf Abstimmungsgespräche mit dem Wirtschaftsministerium zur Zuständigkeit hin.

Kaiser bilanzierte zum Schluss, dass es darum gehe, Vertrauen zu schaffen und Angst zu nehmen. Die Gesamttendenz der Landesregierung sei richtig. Die offenen Punkte würde sie partnerschaftlich mit den Kulturschaffenden angehen. Das größte Problem sei das ausbleibende Publikum. Bezüglich des Stipendienprogramms gebe es Überlegungen im Hause, es fortzusetzen, doch könne noch nichts Definitives gesagt werden. Die Kulturministerin habe das Thema Solo-Selbständige auf die nächste Tagung der Kulturministerkonferenz gesetzt.

rvz, 2.10.20

Nach oben scrollen