Corona-Rundbrief Nr. 29 / Mitglieder-Informationen (04.11.2020)

Der jetzige Lockdown trifft das Leben in Deutschland hart. Es ist eine Jahrhundertkatastrophe – und wir stehen erst am Anfang düsterer Monate. Ganz Europa steht unter Schock. Nirgendwo haben Konzerthäuser und Theater geöffnet – im Übrigen auch keine Restaurants. Wir können nur hoffen, am Ende des Monats unter den Bedingungen, die vorher galten, die Kultur wieder anzufahren. Es geht auch nicht gerecht zu – das hat die Kanzlerin gestern eingeräumt. Es wurde zwischen Schließung und Öffnung abgewogen. Alles muss auf das Grundrecht des Lebensschutzes bezogen werden.

Die Debatte hat insgesamt eines bewirkt: Die Bedeutung der Kultur für den einzelnen und für die Gesellschaft ist deutlicher ins öffentliche Bewusstsein gebracht worden. So hat auch die Bundeskanzlerin in ihrer Pressekonferenz deutlich auf die Situation der Kultur und auf die Folgen der Einschränkungen hingewiesen. Möge man sich bei künftigen Entscheidungen darauf besinnen. Ich habe in zahlreichen Interviews versucht, diese Aspekte zu verdeutlichen. Vor allem war auch nachdrücklich zu widersprechen, wenn die Kultur in die Nähe von Freizeitvergnügen gerückt wurde.

Es muss auch im Bewusstsein bleiben, dass enorme Anstrengungen für einen Corona-gerechten Betrieb der Kultureinrichtungen geleistet wurden. Wir werden sie nach diesem Monat noch brauchen. Wir sind zwar unverändert der Meinung, dass das von Gesundheitsämtern festgestellte Infektionsgeschehen im Wesentlichen nicht von Kulturstätten ausgegangen ist. Aber es geht wohl auch darum, Kontakte vollständig zu beschränken.

Und noch etwas ist in dieser Situation wichtig: Wir erwarten Solidarität mit der Kultur. Aber auch wir müssen uns solidarisch zeigen, z. B. mit den Soloselbständigen, die nicht im Kulturbereich arbeiten, und gegenüber den vielen privatwirtschaftlichen Veranstalter*innen.

 

Was ist jetzt zu tun: 

  • Es müssen die Folgen klar benannt werden – die immateriellen und die materiellen. Dazu stellen wir Forderungen auf. Das ist mit der 10-Milliarden-Hilfe für November nicht getan. Die Rettungsschirme von Land und Bund müssen vor allem für die Künstler*innen ausgebaut und verlängert werden. Die kulturpolitischen Belange müssen noch deutlicher in die Landespolitik eingebracht werden. Das gilt u.a. für den Gesundheitssektor. Der hektische Umgang mit Erlassen unter Ausklammerung der besonderen Situationen der Kulturstätten muss ein Ende haben.
  • Es müssen Öffnungsperspektiven, Öffnungsoptionen entwickelt werden. Eine gewisse Planungssicherheit muss angestrebt werden. Dazu hat die NRW-Kulturministerin eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Die Kulturverbände müssen in diesen Prozess eingebunden werden.
  • Außerschulische Einrichtungen der kulturellen Bildung sollten wie Schulen kontinuierlich weiter betrieben werden. Dabei kann auf Angebote für größere Gruppen verzichtet werden. Die Corona-Schutzverordnung vom 2. November 2020 sollte in § 7 in dieser Hinsicht revidiert werden. Online-Angebote sind im Übrigen seit dem Beginn der Pandemie weiter entwickelte Möglichkeiten, die uneingeschränkt möglich sind. Die meisten Bundesländer lassen die Musikschulen im Betrieb. NRW sollte sich dem anschließen.
  • Besonders liegen uns die Kommunen in Nordrhein-Westfalen am Herzen. Für das Jahr 2020 hat der Landtag NRW im September ein Gesetz verabschiedet, das den Gebietskörperschaften gestattet, die Corona-bedingten Schäden neben ihren originären Haushalten zu isolieren, um sie in den nächsten Jahrzehnten schrittweise abzuzahlen. Außerdem wurde die Verpflichtung zur Aufstellung von Nachtragshaushalten und Konsolidierungsprogrammen für die Phase der Corona-Pandemie ausgesetzt. Diese Verfahren müssen über das Jahr 2020 hinaus auch Gültigkeit für das Jahr 2021 haben. Die Landesregierung soll eine entsprechende Gesetzes- und Rechtslage jetzt herbeiführen. Denn sonst besteht das massive Risiko, dass die Kommunen, die im Augenblick ihre Haushaltssatzungen für das Jahr 2021 vorbereiten müssen, zu dramatischen Budgetkürzungen im Kunst- und Kulturbereich verpflichtet sind. Ohne ein zeitnahes Handeln der Landesregierung führt die aktuelle Lage der Kommunalhaushalte zu einer dramatischen Gefährdung des Kulturlebens und der freien Kunst- und Kulturszene im Lande.

Corona-Hilfen 

Die Schließung der Kulturstätten und ihrer Kultursparten, die auf Publikum angewiesen sind, muss in Bezug auf die Folgen aufgefangen werden. Der Kulturrat NRW hat der Kulturministerin eine Liste mit Vorschlägen zu Hilfsprogrammen des Landes übermittelt. Denn die wichtigste kulturpolitische und kulturadministrative Aufgabe bleibt es, sich sofort intensiv in Bezug auf Schließungsszenarien und auf Corona-Hilfen für das Jahr 2021 vorzubereiten und mit den Kulturverbänden darüber in den Dialog treten. Zur Abfederung der materiellen Folgen und zur Ausgestaltung des 10-Milliarden-Programms für November beziehen wir uns auch auf Vorschläge aus der Politik, u. A. von Bündnis 90/Die Grünen.

  • Der Ausgleich des Umsatzverlustes im November in Höhe von 75 % des Umsatzes aus dem November 2019 ist vom Ansatz her eine gute Maßnahme, doch ist die Referenz ungünstig gewählt. Da es manche Firmen im Vergleichszeitraum noch nicht gab oder sie einen Monat mit reduzierten Einnahmen hatten, sollte man kreative Lösung finden. Statt eines schlechten Monats als Vergleich sollte man besser ein Zwölftel des Jahresumsatzes nehmen.
  • Da viele noch keinen Steuerbescheid haben, sollte für die Vergleichsangabe eine Selbstauskunft genügen.
  • Selbständige und Kleinstunternehmer*innen müssen den fiktiven Unternehmer*innenlohn als förderfähige Ausgabe in die Überbrückungshilfe einbringen können, auch rückwirkend.
  • Wenn Gewerbetreibende ihre gemieteten Räume Corona-bedingt nicht mehr nutzen können, müssen sich Mietverträge anpassen lassen.
  • Für die Veranstaltungsbranche sollte ein besonderer Schutzschirm für nicht mehr stornierbare Kosten errichtet werden.

Überbrückungshilfe 

Wir begrüßen es, dass die Überbrückungshilfe des Bundeswirtschaftsministers als Überbrückungshilfe II verlängert wurde. Seit dem 21. Oktober kann man Anträge über sein Steuerberatungsbüro, die Buchhaltung oder das Anwaltsbüro stellen. Förder­monate sind September bis Dezember 2020. Änderungsanträge können bis 30. November 2020 gestellt werden. Weitere Informationen finden Sie auf der Antragsplattform. Doch die Zugangshürden zur Überbrückungshilfe müssen aus unserer Sicht deutlich gesenkt werden.

Die Überbrückungshilfe Plus in NRW (2. Phase) räumt weiterhin die Möglichkeit ein, Lebenshaltungs­­kosten in Höhe von 1.000 Euro pro Monat zur erhalten. Fördermonate sind auch hier September bis Dezember 2020.

Kurzarbeitergeld 

Die Corona-Regelung des Kurzarbeitergelds geht in die Verlängerung bis Ende 2021. Dadurch fällt die Zahlung höher aus, je länger die Kurzarbeit andauert. In den ersten Monaten erhalten Arbeitnehmer 60 Prozent, haben sie Kinder, 67 Prozent. Ab dem vierten Monat in Kurzarbeit zahlt die Bundesagentur für Arbeit 70 Prozent des ausgefallenen Nettolohns als Kurzarbeitergeld, mit Kind 77 Prozent. Wer sieben Monate lang in Kurzarbeit ist, erhält 80 Prozent des ausgefallenen Nettolohns, mit Kind 87 Prozent. Zum vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld zählt, dass eine Einrichtung bereits Kurzarbeit anmelden kann, wenn mindestens zehn Prozent (zuvor ein Drittel) der Beschäftigten in der Firma von einem Arbeitsausfall von über zehn Prozent betroffen sind. Diese Regelung hilft auch vielen Kultureinrichtungen in NRW, die ihre Mitarbeiter*innen anders kaum halten könnten.

Jährlichkeitsprinzip 

Viele Akteure und Einrichtungen des Kulturlebens haben das Problem, dass sie geförderte Vorhaben über die Jahresgrenze hinaus verschieben müssen, die Fördermittel jedoch nicht übertragen dürfen. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW bemüht sich nach unseren Informationen um Abhilfe und versucht einen Erlass auf den Weg zu bringen, der Übertragungen ins Jahr 2021 begrenzt möglich macht. Sollte dies scheitern, besteht für die Akteure die Möglichkeit, die zurückgegebenen oder nicht abgerufenen Mittel aus einem Selbstbewirtschaftungsfonds des Ministeriums neu zu beantragen.

Zum Schluss 

In Bezug auf die Corona-Schutzverordnungen fordern wir vor allem, dass der Wert der Kultureinrichtungen und der kulturellen Bildung für sich und im gesamtgesellschaftlichen Kontext gesehen und berücksichtigt wird. Nicht zuletzt sind Kultureinrichtungen Foren, auf denen der gesellschaftliche Diskurs stattfindet, der jetzt dringender denn je nötig ist.

Die Krise hat viele Energien freigesetzt, Erfindungsreichtum wurde sichtbar, die Kunst der Improvisation. Das alles ermutigt – und sollte auch nach Corona weiterwirken. Gehen wir mit Mut in die Zukunft.

Gerhart Baum
Vorsitzender des Kulturrats NRW

 

Nach oben scrollen