Lehrerausbildung in künstlerischen Schulfächern muss ausgebaut werden / Künste und Kulturelle Bildung haben hier gemeinsame Aufgaben
Kulturelle Bildung und die Künste stehen weniger im Konflikt um finanzielle und personelle Ressourcen, als aktuelle Debatten dies vermuten lassen. Vielmehr existiert in Deutschland ein massives strukturelles und finanzielles Problem bei der Ausbildung von Lehrkräften für die künstlerischen Schulfächer. Das ist die zentrale Erkenntnis der gemeinsamen, öffentlichen Podiumsdiskussion des Rates für Kulturelle Bildung und des Kulturrates NRW vom Montag, 16. November, in der Fritz Thyssen Stiftung in Köln, zum Thema „Kunst vs. Kulturelle Bildung?“ Vor rund 70 Gästen aus den Künsten, der Kulturellen Bildung sowie aus Wissenschaft und Kulturpolitik hob der Vorsitzende des Kulturrates NRW, Bundesminister des Innern a.D. Gerhart R. Baum, zu Beginn in seinem Grußwort hervor, in Nordrhein-Westfalen sei ein zum Teil erschreckender, schleichender Erosionsprozess bei der Künstlerförderung zu beobachten.
Liegt der Konflikt wirklich zwischen den Künsten und der Kulturellen Bildung?
Moderatorin Anke Bruns richtete die Frage in die Runde, wie bedeutsam die Vermittlung in den Künsten im Vergleich zu den Künsten selbst für die Gesellschaft tatsächlich sei. Prof. Dr. Holger Noltze, Sprecher des Rates für Kulturelle Bildung und Professor für Musik und Medien an der TU Dortmund dazu: „Seit dem PISA-Schock fragen alle: Sind wir auf dem Weltmarkt überhaupt noch konkurrenzfähig? Die künstlerischen Fächer fallen dabei hinten runter. Diese Fächer werden in Sonntagreden hochgehalten, aber vermutlich die Hälfte des Unterrichts findet nicht regelmäßig statt, wie unsere Allensbach-Studie vom Sommer gezeigt hat. Hier müssen wir die Schulpolitik unter Druck setzen. Und in der Lehrerausbildung müssen wir dafür sorgen, dass Lehrer mit stärkerem Selbstbewusstsein an Schulen gehen können, um zu sagen: Das, was wir hier machen, ist essenziell wichtig.“ Eine der zentralen Forderungen der im Oktober vom Rat für Kulturelle Bildung veröffentlichten Denkschrift „Zur Sache. Kulturelle Bildung: Gegenstände, Praktiken und Felder“ lautet entsprechend, die Lehrerausbildung in diesen Fächern deutlich auszubauen.
Linda Müller, stellvertretende Vorsitzende des Kulturrates NRW, ergänzte: „Tanz ist in den Lehrplänen der Grundschulen im Bereich Musik und Sport vorgesehen, findet aber nur ganz selten statt. Es gibt Schulen, an denen viel getanzt wird, an anderen gar nicht, da hängt es von den Lehrern und Schulleitungen ab. Deswegen müssen wir Aufklärungsarbeit in der Lehrerausbildung leisten, um zu zeigen, was man mit Tanzkunst alles bewirken kann: Wenn man ins Experimentieren geht, wenn man nicht einfach nur vorgegebene Sachen nachmacht, wenn man neue Dinge ausprobiert, wenn man Scheitern erlaubt und ganz experimentell an Bewegung herangeht.“
Inhaltliche und strukturelle Mängel in der Lehrerausbildung
Prof. Dr. Andreas C. Lehmann, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie und Professor für systematische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik Würzburg, wies auf weitere Missstände in der Lehrerausbildung hin: „Lehrerausbildung kostet viel Geld, Lehrer einstellen ebenfalls. Gerade in den Künsten gibt es extrem teure Ausbildungswege, da möchte man natürlich nicht zu viele Leute drin haben. Und deshalb sehe ich dort ein gewisses Problem in der Ausbildung. Es werden wahrscheinlich gerade im Grundschulbereich nicht genug Leute ausgebildet. Dort muss man genauer hinsehen.“ Lehmann sprach damit eine weitere Forderung der aktuellen Denkschrift „Zur Sache“ des Rates für Kulturelle Bildung an, die nach der Sicherung einer Grundversorgung mit Kultureller Bildung.
Neben der Frage nach einer hinreichenden Zahl von Lehrerinnen und Lehrern für künstlerische Fächer gibt es zudem massive strukturelle und inhaltliche Probleme bei der Lehrer-Ausbildung. Diemut Schilling, Künstlerin, Professorin für Zeichnung und Druckgrafik am Institut für Schulpädagogik und Lehrerbildung der Alanus-Hochschule sowie Mitglied im Rat für Kulturelle Bildung: „Kunstpädagogen werden in unserem System von Menschen ausgebildet, die sich für eine Wissenschaftslaufbahn, für Promotion und Habilitation entschieden und naturgemäß nicht viel Zeit in Schulen verbracht haben. Praxiserfahrung an Schulen ist kolossal peripher. Wie soll denn das gehen? Wenn man solche Strukturen nicht ändert, wird man nicht zu einem Kunstunterricht kommen, den wir uns wünschen im Rahmen Kultureller Bildung.“
Reinhard Knoll, stellvertretender Vorsitzender des Kulturrates NRW ergänzte: „Wir brauchen eigentlich eine größere Überschrift, um zwischen Kunst und Gesellschaft mehr Verbindung hinzubekommen. Denn wir wissen durch zahlreiche Erhebungen und Statistiken, in welch prekären Verhältnissen Künstlerinnen und Künstler oft leben. Wenn die aber das Gefühl haben, wir können am besten überleben, wenn wir noch Vermittlung betreiben, dann werden sie sich immer weniger mit ihrer Kunst beschäftigen. Vor dem Hintergrund wäre ein Exzellenz-Cluster im Bereich kultureller Vermittlung an Universitäten und Hochschulen notwendig, damit diese Wertigkeit auch geschaffen wird.“
Konsens herrschte unter den Podiumsgästen darüber, dass – auch dies eine Forderung der Denkschrift „Zur Sache“ – eine Steigerung der Qualität in der Kulturellen Bildung nur erreicht werden könne, wenn deren künstlerische Gegenstände grundsätzlich und kritisch auf ihr spezifisches Bildungspotenzial hin untersucht werden.
Aufgezeichnet wurde die Veranstaltung durch das Kulturradio WDR 3 für “Forum WDR 3”. Sendetermin: Sonntag, 20.12.2015, 19.05 Uhr. Oder danach auch als Podcast zum Herunterladen unter www.wdr3.de
Der Rat für Kulturelle Bildung und der Kulturrat NRW danken der Fritz Thyssen Stiftung für die freundliche Unterstützung der Veranstaltung.