Radio-Tipp: WDR 3 Kulturpolitisches Forum “Neue Normalität!? Wie die Kultur in NRW Corona überlebt” am 11.10.2020 um 18.04 Uhr

Auf dem Podium diskutierten am 21.09.20 im Kölner WDR-Funkhaus:

Christine Brinkmann (ZAKK Düsseldorf)
Heike Herold (Kulturrat NRW)
Jan Krauthäuser (Humba e.V.)
Dr. Udo Witthaus (Kulturdezernent Bielefeld)

Moderation: Peter Grabowski

Über die Normalität:
„WDR3 Forum“ fragt, wie die Kultur in NRW Corona überlebt

„An Künstlerinnen und Künstler sowie Kultureinrichtungen gibt es „noch“ keine Verluste,“ stellt Heike Herold vom Kulturrat NRW fest, „aber im kommenden Jahr kann sich das ändern, wenn die Hilfsprogramme nicht weitergehen sollten.“ Peter Grabowski wirft im „WDR3 Forum“ einen Blick auf die öffentlichen Rettungsprogramme für Künstlerinnen, Künstler und Kultureinrichtungen sowie auf ihre Wirksamkeit. Zum Beispiel bei Jan Krauthäuser. Der Festivalveranstalter der globalen Musik in Köln erhielt von diesen nichts für seine Weltmusikreihe im Kölner Club Odonien oder für sein Edelweißpiratenfestival. „Künstler wurden in der ersten Phase eher für das Nichtstun unterstützt als für das Arbeiten,“ kritisiert Krauthäuser und mahnt eine Unterstützung von Initiativen für das Wiedererwachen des Kulturlebens an.

Das Kulturamt Bielefeld begleitete die Künstlerszenen eng, berichtet Kulturdezernent Udo Witthaus. Es versucht, Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und orientiert über Hilfsprogramme. Der Ansatz von Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen am Beginn der Krise, zunächst einmal die Kulturförderung des Landes bei ausfallenden Veranstaltungen aufrecht zu erhalten, war aus seiner Sicht richtig. Das gelte auch für viele Instrumente des Bundes: „Wir wurden vor allem durch Kurzarbeit gerettet. Das hat funktioniert,“ lobt er die Maßnahme des Arbeitsministers, das Kurzarbeitergeld zu erhöhen. Doch 45 Prozent der öffentlichen Kultur in Deutschland finanzieren die Kommunen, und über das nächste Jahr hinweg befürchtet auch Witthaus große Probleme durch die kommunalen Finanzkrisen, die sich abzeichnen.

Christine Brinkmann vom ZAKK Düsseldorf versucht den Veranstaltungsbetrieb unter Pandemiebedingungen so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Sie handelt mit ihren Künstlerinnen und Künstlern andere Anteile an den Einkünften aus, die dem zahlenmäßig geringeren Publikum gerecht werden. Haus und Szene müssen überleben können. Kurzarbeit ist für soziokulturelle Zentren wichtig. Die vielen anderen Förderangebote erfordern viel Überblick und einige gehen mit ihrem haarscharfen Zuschnitt an der Realität der Zentren vorbei. Das ZAKK hat eine Eigenfinanzierungsquote von über 60 Prozent. Die fehlen derzeit bei stark eingeschränktem Publikum und Behelfsgastronomie.

Hilfen für alternative Konzepte

Kommen die Hilfen an? Heike Herold spricht für die Soziokultur NRW und den Kulturrat NRW. Erstere unterstützt die Abwicklung eines Teils des aktuellen Hilfsprogramms des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW für Kultureinrichtungen ab und reicht die Landesmittel möglichst unbürokratisch in die Szene weiter. Das Programm läuft aber nur bis Ende Dezember, warnt Herold. Unbürokratisch ist auch das Stipendienprogramm des Ministeriums, das die fünf Bezirksregierungen erstaunlich schnell ins Land bringen. 15.000 Stipendien à 7.000 Euro sind mit unaufwändigen Anträgen erreichbar, 13.000 bereits vergeben.

Jan Krauthäuser fordert unkomplizierte Lösungen auch für die Karnevalszeit. Denn die fällt als Einnahmequelle für das Kulturleben weitgehend aus. Jan Krauthäusers „Humba e.V.“ will Brauchtum in kultureller Vielfalt beleben und sucht nun in der Pandemie neue Formate, die funktionieren. Auch Programmplanerin Christine Brinkmann entwickelt neue Formate, attraktive Raumgestaltungen und -bestuhlungen sowie Wegekonzepte. Der Sommer bot viele open-air-Möglichkeiten, der Winter wird schwieriger.

Krise als Lackmustest
Peter Grabowski überführt die Suche nach alternativen Angebotsformen in grundsätzliche Fragen der Kulturfinanzierung. Was lernen wir kulturpolitisch aus der Krise? Udo Witthaus hat als Kulturdezernent in Bielefeld erlebt, wie viel im Kulturleben prekär ist. Die Coronakrise mache das wie ein Lackmustest offensichtlich. „An den strukturellen Schwächen müssen wir grundsätzlich arbeiten.“ Udo Witthaus brachte vor zehn Jahren eine Kulturentwicklungsplanung in Bielefeld in Gang. Spartengespräche und Häuservernetzungen zeugen heute noch davon. Die ständigen Dialoge sind notwendig, denn viele Einrichtungen aus den 1980er Jahren stehen heute in einem schwierigen Generationenwechsel. Das Kulturamt Bielefeld unterstützt diesen nach Kräften.

Heike Herold reklamiert für den Kulturrat NRW ebenso grundsätzliche Fragen für die Zukunft wie prekäre Bezahlung, Sozialsysteme, Zusammengehen der föderalen Ebenen und mehr zu thematisieren, wie auch aktuelle und pragmatische Lösungsansätze in die Szene zu kommunizieren. Keiner überblickt den Dschungel der Teilprogramme im Programm „Neustart Kultur“ der Staatsministerin für Kultur und Medien. Da liegt eine Aufgabe der Übersetzung für den Kulturrat NRW, die zum aktuellen wirtschaftlichen Überleben beiträgt.

Die verbreitetste soziale Absicherung im Kulturleben ist nach Ansicht von Jan Krauthäuser die Lebenspartnerschaft. Ist eine Seite in fester Anstellung ermöglicht dies das Künstlertum der anderen Seite. Die staatliche Sicherung spielt eine deutlich kleinere Rolle. Dann aber sollten Kommunen, Land und Bund doch zumindest Aufträge vergeben. Diese könnten sich auch auf kulturelle Konzeptionsarbeit beziehen. Krauthäuser selbst leistet viel Konzeptionsarbeit, organisiert Festivals, bahnt Konzertreihen an und führt die Szene zusammen. Diese Arbeit geschieht oft unfreiwillig ehrenamtlich, weil keiner sie bezahlt, auch nicht die Kulturverwaltung.

Witthaus ist bereit, sich diese Rollenverteilung kritisch anzusehen. Solche Fragen werden sowieso auf die Gesellschaft zukommen. Was kann die Zivilgesellschaft nach der Corona-Krise noch für das Kulturleben leisten? Sind die Abonnenten und Sponsoren dann noch da? Noch sind sie es. Doch die Grundfragen der Verteilung der Lasten rücken näher. Christine Brinkmann weist darauf hin, dass viele Kulturorte in den Förderlisten gar nicht vorkommen, das AK47 in Düsseldorf etwa, ein Punkclub. Wer nicht in den Förderlisten steht, hat es in der Coronakrise noch schwerer.

Peter Grabowski sieht hier die Systemfrage angeschnitten: Was will die öffentliche Hand im Kulturleben wie hoch und mit welcher Begründung ausstatten? Wird der Kulturrat NRW hierauf Antworten geben? Heike Herold berichtet von den Vorbereitungen einer Konferenz zur Zukunft der Kulturpolitik, die der Kulturrat NRW gemeinsam mit dem Städtetag NRW 2021 ausrichten wird. Die Corona-Krise habe eine Fülle an neuen Daten zur wirtschaftlichen und sozialen Situation im Kulturleben und aussagekräftige Fallbeispiele erbracht. Der Kulturrat NRW wird auf dieser Grundlage mit Kulturpolitik und -verwaltung auf allen Ebenen das Gespräch suchen.

 

Robert von Zahn, 22.9.2020

Fotos: Jan Krauthäuser (Veranstalter, Köln), Christine Brinkmann (ZAKK Düsseldorf), Udo Witthaus (Kulturdezernent der Stadt Bielefeld), Heike Herold (Kulturrat NRW) und Peter Grabowski (Moderation) am 21. September 2020 im WDR3 Forum; © Kulturrat NRW.

Die Aufzeichnung wird ausgestrahlt am 11.10.2020 um 18.04 Uhr auf WDR3.

 

22.09.2020

Nach oben scrollen